Einfьhrung.
Die neuen Wege, die in das kommende Zeitalter fьhren, werden in der Gegenwart bereitet. Niemand weiЯ, ob alles genau so sein wird, wie wir es uns heute vorstellen. Vielleicht kommt es zu anderen, besseren Projekten und Lцsungen. Natьrlich kommt immer Neues hinzu, und die Forschungsfortschritte sind so groЯ, daЯ noch viele Ьberraschungen zu erwarten sind.
Gegenwдrtig erleben wir, wie sich aus der wechselseitigen Durchdringung von wissenschaftlich-technischen und industriellen Fortschritten ganz neue Wissenschaftszweige herausbilden, die vielleicht morgen schon eine umwдlzende Bedeutung haben kцnnen. Fьr manche dieser neuen Arbeitsrichtungen gibt es heute nur Probleme, Aufgaben und Forschungsziele, die sich aus der Praxis des Lebens und der wissenschaftlichen Entwicklung ergeben. In letzten Jahren sind solche Wissenschaftszweige, wie Biophysik, Biochemie und andere entstanden. Eines der aussichtsreichsten Forschungsgebiete erцffnet sich mit der Bionik. Diese Bezeichnung kommt vom griechischen Wort "bion" und bedeuet soviel wie Lebenselement, das heiЯt: Element eines biologischen Systems. Als offizielles Datum der Geburt jener "Brьcke", die Biologie und Technik verbindet und Bionik genannt wird, gilt der 13. September 1930. An diesem Tag wurde in Dayton (USA) das erste Internationale Symposium zu dem Thema"Lebende Prototypen fьr kьnstliche Systeme - der Schlьssel zur neuen Technik" erцffnet. Aber dieser Gedanke gehцrte noch Leonardo da Binci. Bionik. Voraussetzungen und Aufgaben.
Die Aufgabe dieses neuen Wissenschaftszweiges besteht darin, biologische Systeme sowie die ihnen zurgrunde liegenden Prinzipien zu erforschen und zu prьfen, ob sich дhnliche Lцsungen in der Technik anwenden lassen. Die Natur ist ein besserer Ingenieur als der Mensch. Das ist kein Wunder. Sie hat Milliarden Jahre in einem Riesenlaboratorium gearbeitet und ungezдhlte Experimente angestellt. Dabei haben sich im Verlaufe der Entwicklung hochgezьchtete Eigenschaften und Sinnesorgane von phantastischer Funktionstьchtigkeit herausgebildet.
Techniker muЯ die Natur kennen und studieren, wenn er seine eigenen Gerдte zu einer hohen Leistung bringen will oder wenn er nach neuen Prinzipien sucht. Es ist eine Tatsache, daЯ in der Natur auch heute noch mehr Patente stecken, als jemals an Erfinder vergeben wurden. Nur, man muЯ sie erforschen, denn Patentschriften hat sie leider nicht angefertigt.
Diese Patentgeheimnisse stecken hinter all den Fragen, die wir selbst stellen: Wie vermцgen sich die Vцgel im Raum zu orientieren? Wie finden sie sich auf ihrem Flug ьber 10. 000 bis 17. 000 Meter Entfernung zurecht, und wie finden sie sogar ihr altes Nest wieder? Wie funktioniert das Organ der Fische, die sich mit einem elektrischen Feld umgeben? Wie ist das Organ beschaffen, mit dem die Klapperschlange auf Infrarotstrahlen reagiert und damit Wдrmeunterschiede von einem tausendstel Grad wahrnimmt ? Wie finden Schmetterlinge zueinander? Verstдndigen sich Insekten mit Hilfe elektromagnetischer Wellen? Wie funktionieren die Leuchtorgane der Tiefseefische ? Woher wissen Bienen, wie spдt es ist?
Fragen ьber Fragen. Von ihrer richtigen Beantwortung hдngt auЯerordentlich viel ab.
Die Wissenschaft hat feststellen kцnnen, daЯ jeder lebende Organismus - vom Kolibri bis zum Kondor, vom einzelligen Strahlentierchen bis zum Wal, vom winzigen Grashalm bis zur majestдtischen Kiefer - in jeder Hinsicht eine vollendete, nachahmenswerte Konstruktion darstellt. Obwohl die Bionik erst vor kurzem ihre offizielle Anerkennung gefunden hat, wьrde es eine ganze Weile dauern, wollte man die Ergebnisse ihrer Forschungen alle aufzдhlen. So ist zum Beispiel ein Gerдt entwickelt worden, das eine genaue Nachbildung des Gehцrorgans der Qualle darstellt. Mit seiner Hilfe lassen sich Stьrme um 12 bis 14 Stunden frьher voraussagen als mit einem gewцhnlichen Barometer. Anhand eingehender Untersuchungen der Struktur des Auges der Hufeisenkrabbe konnte die Kontrastschдrte von Fernsehapparaten verbessert werden. Der Nilhecht beispielsweise, der sich auch einer elektrischen Orientierung bedient, ist zu einem besonders wichtigen Studienobjekt geworden. Die Bioniker wollen das Organ finden, mit dem er sich ьber das Raumbild informiert und zwischen Isolatoren und Leitern genau zu unterscheiden vermag. Das Nilhecht-Ortungsprinzip kцnnte fьr uns interessant werden, da ьbliche Echoanlagen zwischen einem in der Tiefe schwimmenden Wal und einem U-Boot nicht unterscheiden kцnnen.
Andere Forscher befassen sich mit Insekten. Sie nehmen an, daЯ deren Fьhler die Rolle von Antennen spielen und sie sich mit elektromagnetischen Wellen verstдndigen. Aufgefunden hat man solche Wellen allerdings noch nicht. Es heiЯt, sie seien so kurz, daЯ wir sie noch nicht messen kцnnen. Techniker haben errechnet, daЯ ein zehntausendstel Watt genьgt, um eine Strecke von ьber sieben Kilometern zu ьberbrьcken. Diese Leistung kцnnte auch ein Insekt aufbringen, denn bei einer Sendezeit von anderthalb Minuten wьrde es nur ein vierhuderttausendstel Gramm Fett verbrauchen. Wenn der Mensch hinter das Geheimnis so kleiner Sende- und Empfangsanlagen kдme, kцnnte das eine groЯe praktische Bedeutung fьr die Informations- und Steuerungstechnik haben. Beim FluЯkrebs ist ein erstaunliches Gleichgewichtsorgan entdeckt worden. Es ist von auЯerordentlicher Empfindlichkeit gegenьber Verlagerungen in jeder beliebigen Richtung und gegen Vibration. Noch wissen wir nicht, wie es beschaffen ist und wie es funktioniert. Aber wenn das geklдrt ist, werden Gerдte entstehen, mit denen die kьnftigen Erforscher des Erdinneren bei ihrem Abstieg ihren Standort genau bestimmen kцnnen.
Japanische Wissenschaftler stellten fest, daЯ die Form des Wals der Fortbewegung im Wasser besser dient als die messerfцrmige Form der modernen Schiffe. Die Schiffsbauer, die diese Entdeckung ausnutzten, bauten ein Schiff mit der дuЯeren Form eines Wals. Das von den japanischen Konstrukteuren geschaffene Schiff ist wirtschaftlich vorteilhafter als die anderen Schiffe, weil seine Motoren bei gleicher Geschwindigkeit und Tragfдhigkeit des Schiffs eine geringere Leistung brauchen.
Kьrzlich wurde festgestellt, daЯ Ratten ein Organ besitzen, mit dem sie auf Rцntgenstrahlen zu reagieren vermцgen. Sie sprechen bereits auf eine Dosis von nur 20 Millirцntgen, gegeben in einer Zehntelsekunde, an ! Es ist verstдndlich, daЯ die Bioniker diese seltene Fдhigkeit mit besonderer Aufmerksamkeit studieren, um herauszufinden, wie dieses natьrliche "Strahlennachweisgerдt" funktioniert.
Die Sonnenblume besitzt die Eigenschaft, ihren Kopf stдndig der Sonne zuzuwenden. Kann man dieses "Verfolgungsprinzip" zur Speisung der Sonnenbatterien in kosmischen Forschungslaboratorien kopieren ? Die Ingenieure beschдftigen sich damit.
Aber auch in anderer Weise lernen die Ingenieure von Naturformen. Da ist zum Beispiel in der Sowjetunion das Modell Pinguin entwickelt worden, ein schneegдngiges Fahrzeug, das nichts mehr mit einem Schlitten und nur noch wenig mit einem Automobil zu tun hat. Bei seiner Konstruktion wurde das "Pinguinprinzip" angewendet. Dieser originelle Vogel bewegt sich im lockeren Schnee, indem er auf dem Bauch liegt und sich mit den flьgelartigen Flossen wie auf Skistцcken abstцЯt. Dieses Gleitprinzip ist fьr das neue Fahrzeug ьbernommen worden. Es liegt mit dem Boden - dem Bauch - auf der Schneeflдche, und zwei Radschaufeln stoЯen es vorwдrts. Es gleitet mьhelos ьber lockeren, hohen Schnee, sinkt nicht ein, ist leicht lenkbar und erreicht eine Hцchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Es ьbertrifft bei weitem die motorisierten Scheefahrzeuge alter Art und wird zur Zeit mit groЯem Erfolg auf unseren antarktischen Stationen verwendet.
Diese Beispiele zeigen, wie die neue Wissenschaft nicht nur zu erklдren versucht, was bisher unerklдrlich war, sondern daЯ sie dem Menschen und seiner Technik alles das nutzbar machen will, was die Natur in anderen Organismen ausgebildet hat. Die architektonische Bionik.
Die architektonische Bionik ist noch jьnger. Doch auch auf diesem Gebiet zeigt das Erreichte mit aller Deutlichkeit, welche gewaltigen Mцglichkeiten dieser Wissenszweig in sich birgt.
Bienen- und Wespenwaben bestehen aus Zehntausenden sechseckiger Zellen, die in parallelen Reihen angeordnet sind. Der Boden einer jeden Zelle wird aus drei Rhombenflдchen gebildet, die eine Pyramide ergeben. Fьhrende Mathematiker haben wiederholt die Abmessungen der Bienenwaben mit hцchster Prдzision bestimmt und sind jedesmal zu dem gleichen SchluЯ gekommen: Alle spitzen Winkel der drei Rhombenflдchen haben eine GrцЯe von 70°32ґ. Die Wissenschaftler haben nachgewiesen, daЯ bei der sechseckigen Form gerade dieses WinkelmaЯ das grцЯte Fassungsvermцgen der Wabenzelle bei geringstem Materialverbrauch ergibt. In ihrer Jahrmillionen wдhrenden Entwicklung haben die Bienen gewissermaЯen "empirisch" die sparsamste und zugleich gerдumigste GefдЯform fьr die Aufbewahrung des Honigs gefunden.
Sowjetische Ingenieure haben einen wabenfцrmigen Getreidespeicher entwickelt, der sich rasch und einfach bauen lдЯt. Schon beim ersten solchen Wabenspeicher, der die GrцЯe eines 15geschossigen Hauses hat und in Kupino (in der Steppe bei Nowosibirsk) steht, kam man mit weitaus weniger Beton aus als sonst. Dabei ist die Konstruktion wesentlich stabiler. Bei einem noch vollkommeneren Getreidespeicher mit Wabenkonstruktion, der in Zelinograd (Kasachstan) gebaut wurde, wurden etwa 30 Prozent weniger Beton verbraucht als bei einem gewцhnlichen Getreidespeicher und der Arbeitsaufwand war nur halb so groЯ ! Der Wabenspeicher wurde zum Typenprojekt erklдrt.
In nдchster Zeit schon werden in der Rusland - Wabenform folgend - sechseckige Verwaltungsgebдude und Wohnhдuser aus getypten Bauelementen montiert werden. Siliziumneuron.
Es gibt Aufgaben, zum Beispiel, das Unterscheiden der komplizierten visuellen Bilder, mit denen sogar Supercomputer mit Mьhe fertig werden. Fьr uns existiert hier aber keine Schwierigkeit. Kurzum ist Elektronenrechner vorlдufig nicht imstande, mit einem Menschen zu wetteifern.
Das ist aber nur vorlдufig. Wenn man doch ein groЯes Massiv der gemeinsam arbeitenden Prozessoren nimmt, kann man eine Art der Analoga von Neuronnetzen. Solche Systeme, die man "Neurocomputer" nennt, sehen in vielem einem Gehirn дhnlich: erstens unterbricht die Beschдdigung einzelner Elemente die Arbeit des ganzen Komplexes nicht; zweitens wird die Information in ihnen in keiner einzigen Position und nicht aufeinanderfolgend aufbewahrt und bearbeitet, sondern verteilt und parallel; drittens werden sie nicht so programmiert, wie an Beispielen gelehrt, fьr die Lцsung dieser oder jener Aufgabe selbstgestimmt.
Die Neurocomputer werden natьrlich die Digitalrechenmaschinen nicht ersetzen, und nur sie in puncto des intuitiven Denkens in den Maschinen der fьnften Generation ergдnzen. Viele Fachlдute, die sich durch Neurophisiologie fortreiЯen lassen, schдtzen zwar die Mцglichkeiten der Neurocomputer ьberaus skeptisch ein: man legt ja zu vereinfachte Vorstellungen von einem realen Neuron der Arbeit dieser Einrichtungen zugrunde.
Die Wissenschaftler aus der Kalifornischen technologischen Hochschule und der Universitдt in Oxford, die Fertigungstechnik der Integralschaltungen benutzend, haben aber an einem Siliziumkristall das Verhalten eines richtigen Neurons modelliert. Die Dynamik der Prozesse, die in einer Schaltung aus Transistoren vor sich gehen, ist denen дhnlich, die auf der Membrane einer Nervenzelle, und auch in Synapsen zu beobachten sind. Es wird zum Beispiel der Effekt der Gewцhnung wiedergegeben - bei der vielfachen Einwirkung wird die Anregungsschwelle hцher.
Auf einer nagelgroЯen Platte kann man Hunderte von solchen "Halbleiterneuronen" unterbringen, die auf das Millionfache hцher, als richtige funktionieren. Wahrscheinlich werden diese "Neurochips" eine Elementarbasis der Computers der sechsten Generation. So hat man in Japan ein nationales Programm der Bildung eines kьnstlichen Neurointellektes bekanntgemacht, der wie man glaubt, der japanischen Gesellschaft ermцglichen wird, in einen gewissen idyllischen, "rosa" (englisch -pink) Zustand zu ьbergehen - PINK Society. Die Abbreviatur PINK versteht darunter: Psychological-Intelligent-Neural-Knowledge. Anders gesagt mьssen im Entwurf die Errungenschaften der Neurobiologie und Logik, und Psychologie, und Sprachwissenschaft .... berьcksichtigt werden. Da zeigen sich schon die Umrisse der Maschinen der siebten Generation, wo man Information auf einem Molekularniveau bearbeiten wird. Die Zeit, wenn Bioniker sehr nahe an die Modellierung des Denkens herangehen werden, ist nicht allzuweit. SchluЯfolgerung.
Wurde in der Technik der Vergangenheit das Material der Natur nur als Roh-, Bau- und Werkstoff oder die bloЯe Muskelkraft der Tiere genutzt, so erцffnet sich jetzt sogar die Mцglichkeit, natьrliche Organismen in technischen Systemen zu verwenden.
Man kann sich die Zeit bereits vorstellen, wo Raumschiffe mit Tieren an Bord auf den weiten Weg zum Mars oder zur Venus oder anderen Planeten geschickt werden. Diese Tiere sind dabei nicht nur einfache Passagiere. Der Organismus dieser Tiere in Verbindung mit einfacheren technischen Systemen wird komplizierte Aufgaben der Steuerung des Raumschiffes lцsen. Sie werden zum zuverlдssigen und genauen Hilfsmittel, um das Flugregime zu regulieren. Dieser "Einbau" niederer Lebewesen in technische Systeme wдre eine Mцglichkeit, die wahrscheinlich nur fьr so auЯerordentliche Unternehmungen in Frage kдme wie eben beim Raumflug. Im allgemeinen "begnьgt" sich die Bionik damit, nicht die natьrlichen Organismen direkt, sondern die Prinzipien ihrer "Konstruktion" zu nutzen.
Heute ьbernimmt der Mensch ingenieurtechnische Lцsungen, zu denen die Natur gelangt ist, nachdem sie ьber Jahrmillionen hinweg immer wieder Fehler ьberwunden hat. Der Mensch kann sich diese Lцsungen zu eigen machen und so das Stadium des vielen Probierens und Suchens ьberspringen.
Man kann der neuen Wissenschaft eine groЯe Zukunft voraussagen. Hier steht den Gelehrten von morgen ein weites Feld fьr die Forschung offen. Ausgenutzte Literatur : 1. “ Die Technik um das Jahr 2000” М. “Wysschaja Schkola” 1980. 2. “ Wissenschaftlich-technischen Kaleidoskop”, М. “Proswestschenije” 1979. 3. “Die GroЯe Sowjetische Enzyklopдdie” , M. 1967. 4. “Siliziumneuron” , M. Mahowald, R. Douglas, “Nature”: 1991, 6354.